Das NDR-Radio berichtete am 04. April 2023 über die Kunstleihe Hamburg-Harburg …
„Ein echtes Kunstwerk im Wohnzimmer. Nicht jeder kann es sich leisten, ein echtes Gemälde zu kaufen. Deshalb gibt es in Hamburg-Harburg die Kunstleihe. Hier leiht man sich echte Kunst für kleines Geld.
von Peter Helling
Im Kiosk von Anil Yildirim in Heimfeld über einem hohen Regal voller Weinflaschen, Chips und Lebensmittel hängt ein Bild mit drei Gesichtern Angela Merkels mit Krone auf dem Kopf: die Ex-Kanzlerin als die berühmten drei Affen. Es ist ein bissiger Kommentar zur Politik: pink und golden umrahmt, ein bisschen Andy Warhol-Style. Der 32-jährige Kioskbesitzer hat das Bild nicht etwa gekauft, sondern ausgeliehen.
Eine Spur „schräger“ durch die Kunst
„Ich habe selbst keine Ahnung von Kunst, ich hab es gemacht, wegen der Nachbarschaftspflege.“ Die Mitarbeiter der Kunstleihe seien selbst Kunden bei ihm. „Da habe ich mir gesagt, der Laden hat hohe Decken, hol dir doch mal schöne Bilder von denen. Sonst hab ich immer vier bis fünf Bilder von denen hier. Die geben nochmal so einen extra Touch in den Laden.“ Das stimmt: Anil Yildirims „Meyer’s Kiosk“ sieht durch die Kunst großstädtischer aus, eine Spur schräger. Vor allem: wie ein Ort, an dem man gut plaudern und Kaffee trinken kann. Der soll der beste im Viertel sein, sagt ein Kunde schmunzelnd.
Kunst leihen für sechs Euro im Quartal
Ausgeliehen hat Anil Yildirim die dreifache Angela in der Kunstleihe, wenige Meter die Meyerstraße hoch. Von außen wirkt diese wie eine Eckgalerie, hell und freundlich, darin hängen Leinwände, Drucke, Fotografien, stehen bunte Skulpturen. Heiko Langanke von der Kunstleihe Harburg erklärt das Konzept. „Wir machen seit drei Jahren die Kunstleihe, in der man sich Kunst einfach mal für ein Vierteljahr für sechs Euro leihen kann.“
Von den rund 400 Kunstwerken sind fast 150 verliehen, sagt er. Manche der Werke haben schon Wartelisten. Arztpraxen oder Kanzleien schmücken mit der Kunst ihre Wartezimmer – aber auch Menschen wie du und ich finden hier das blaue Bild zum blauen Sofa, erzählt Langanke. „Kreuz und quer, das ist von ganz jung, wenn die Kinder mitgenommen werden, vom Professor bis arbeitslos, ist eigentlich alles dabei. Es geht wirklich darum, dass die Kunst etwas bei denen auslöst und sie es auch nicht mehr missen möchten.“
Einige „Renner“ sind immer verliehen
Seine Kollegin Sabine Schnell hält ein türkisblaues Ölbild mit zwei nackten Fußsohlen in der Hand. „Das Bild ist von Annette von Borstel ‚Der auf dem Wasser geht‘. Wir haben einige Renner, die hängen hier einfach nicht, weil die immer unterwegs sind. Ich habe auch kaum noch Kartonagen. Es ist alles ganz schön ausgedünnt im Moment“, sagt sie lächelnd. Heiko Langanke ist zufrieden: Vor Ostern ist fast die Hälfte der Kunstwerke verliehen.
Es läuft also. Verkauft wird die Kunst übrigens nicht. Statt eines Picassos für den Hausflur, verleihen sie vor allem zeitgenössische Kunst aus Harburg. Qualität aus der zweiten und dritten Reihe, wie Heiko Langanke sagt. Er zeigt auf ein surreales Bild: digital verfremdete Figuren aus Überraschungseiern. „‚Das Gelbe vom Ei‘ von der Harburger Künstlerin Petra Hagedorn, die sehr verschiedene Techniken und Materialien nutzt.“Wenn das kein Oster-Renner wird? Vom expressiven Holzschnitt der 20er-Jahre bis hin zur kitschigen Farbexplosion – es gibt Maritimes aus dem Harburger Hafen von Ralf Schwinge und sogar digitalisierte Videokunst, per USB-Stick ausleihbar – für manche der ideale Bildschirmschoner im Homeoffice.
Demokratisierung der Kunst
„Im Grunde war die Idee eine Demokratisierung der Kunst, also: Kunst allen zugänglich zu machen“, so Heiko Langanke. Die Kunst soll raus zu den Menschen, beispielsweise in den Kiosk. Es sei alles da in Harburg – fast alles. Nur eines fehlt, lacht er: „Im Moment sind alle Hasen weg, also wer jetzt noch zu Ostern einen Hasen an der Wand haben will, der müsste nach Buxtehude zur Artothek. Erstaunlicherweise ist es so.“ Aber nach Ostern werden die Hasen bestimmt in die Kunstleihe hoppeln.“