Kunstleih-Abos fürs Wohnzimmer

Foto: Stadtbücherei Biberach

Der SWR berichtete am 18. Dez. 2025 über das Prinzip der lokalen Artotheken

„Geschenketipp für Kurzentschlossene

Kunstwerk unterm Weihnachtsbaum: Artotheken bieten Kunstleih-Abos fürs Wohnzimmer

Artotheken bieten Geschenkgutscheine für Originalkunst auf Zeit. Für einen Schnäppchenpreis verwandeln sich die eigenen vier Wände in eine temporäre Kunstgalerie. Für Laien ein Türöffner in die Kunstwelt.

Von Autor/in Lydia Huckebrink

Was schenkt man Menschen, die schon alles haben? Vielleicht ein Kunstleih-Abo für das Wohnzimmer. In Artotheken kann man Originalkunstwerke für eine befristete Zeit mieten.

Für wenig Geld verwandeln sich die eigenen vier Wände so in eine kleine Kunstgalerie. Das Ganze funktioniert wie bei einer Bibliothek, nur stehen im Regal keine Bücher, sondern Kunst.

Horst Reichle - Ausstellung im Fruchtkasten in Ochsenhausen
Der renommierte oberschwäbische Maler und Bildhauer Horst Reichle verstarb 2024. Die Artothek besitzt und verleiht einige seiner Werke. SWR Thea Thomiczek

Ein Günther Uecker für 12 Euro im Jahr

In der Artothek in Biberach zum Beispiel kann man aus 480 Originalwerken wählen. „Die Arbeiten von Janosch, Horst Reichle und die Nageldrucke von Günther Uecker sind bei uns am beliebtesten“, sagt Leiterin Corona Eggert.

Das sind große Namen für überraschend wenig Geld. Gerade einmal zwölf Euro Leihgebühr kostet es, ein Nagel-Relief des renommierten Künstlers Guenther Uecker für ein Jahr im eigenen Wohnzimmer aufzuhängen. „Alles, was Sie brauchen, ist ein gültiger Bibliotheksausweis“, so Eggert.

Hinter den Artotheken stehen öffentliche Träger wie Ämter, Museen oder Bibliotheken. Die Artothek Biberach gehört zur Stadtbibliothek. Passend zur Jahreszeit bietet sie Geschenkgutscheine an.

Ein Blick in die Artothek der Stadtbücherei Biberach
Um die Artothek Biberach zu nutzen, braucht man einen Leseausweis der Stadtbücherei. Geschenkgutscheine gibt es für 36 Euro. Stadtbücherei Biberach

Auch auf der Website der Artothek in Waldshut-Tiengen kann man Gutscheine erwerben. Ein ideales Weihnachtsgeschenk für alle Minimalist*innen, die Kunst lieben, aber weder teuer kaufen noch weitere Dinge besitzen wollen? Oder für alle, die die Preise auf dem klassischen Kunstmarkt schlicht nicht zahlen können.

Denn für einen Euro pro Woche leiht man in Waldshut-Tiengen bis zu vier Kunstwerke gleichzeitig aus – gefallen sie nicht mehr, tauscht man sie gegen andere. Das ist fast schon subversiv in einem Markt, der auf Besitz und Wertsteigerung setzt.

Doch was ist, wenn an den Werken etwas kaputt geht? „In der Regel passiert nicht mehr als ein Schaden am Rahmen“, sagt Ina Penßler. Sie ist Vorsitzende des Artothekenverbands Baden-Württemberg und leitet die Artothek in FIlderstadt.

Wer haftet für die Ketchupflecken?

Zugegeben: Es lagern keine Picassos in den Artotheken – zumindest keine Originale. Der Wert der Arbeiten bewegt sich meist in einem Rahmen, in dem die private Haftpflichtversicherung im Schadensfall einspringt.

Und was, falls doch mal Ketchup auf dem Günther Uecker landen sollte? „Bei mutwilliger Zerstörung stellen wir den Wiederbeschaffungswert in Rechnung“, sagt Corona Eggert aus Biberach.

Ein Relief-Druck des Künstlers Günther Uecker in einer Ausstellung im Volkspark in Halle
Zwei solcher Reliefdrucke des Objektkünstlers Günther Uecker verleiht die Artothek Biberach für je 12 Euro im Jahr. IMAGO Köhn

Für Kunsthistoriker ein Albtraum

Kunst als Gebrauchsgegenstand, das gefällt nicht allen. Im schweizerischen Bern hat der Gemeinderat kürzlich erst einen parlamentarischen Vorstoß abgelehnt, eine städtische Artothek einzurichten. Die Begründung: Die Stadt will ihre Kunst unabhängig von ihrem Versicherungswert gleich sorgsam behandeln – und Schäden an allen Werken verhindern.

„Kunsthistoriker denken oft so“, sagt Ina Penßler. „Ihr Ansatz ist es, Kunst zu bewahren. Ich kann verstehen, dass sie befürchten, dass Werke im Artothekenbetrieb beschädigt werden.“ Ihre Haltung sei aber eine andere: Kunst lebe davon, dass sie zugänglich ist.

Blick in die Berliner Artothek im Berliner Stadtteil Wedding, 2010.
Artotheken laden dazu ein, Kunst zu benutzen statt zu bewahren. Konservatorinnen und Kunsthistorikern gefällt das nicht immer. picture-alliance / Reportdienste dpa Bildfunk Robert Schlesinger

Kommunen kauften gezielt Kunst an

Kunst bewahren oder benutzen? Die Frage ist nicht neu. In Baden-Württemberg entschied man sich bereits in den 1980er-Jahren für Artotheken: Möglich machte das die gezielte Kulturförderung des damaligen Ministerpräsidenten Lothar Späth.

Städte und Kommunen kauften systematisch Werke regionaler Kunstschaffender an. Bis heute bilden diese Bestände das Rückgrat vieler Artotheken im Land.

Passanten vor der Artothek in Friedrichshafen
Im Südwesten gibt es laut Bundesverband 14 Artotheken. In Baden-Württemberg – im Bild Friedrichshafen – sind es besonders viele. IMAGO Wolfgang Maria Weber

Waldshut-Tiengen holt Kunstschätze aus dem Depot

So auch in Waldshut-Tiengen. Die städtische Sammlung umfasst rund 300 Werke, überwiegend von regionalen Künstlerinnen und Künstlern. Man wolle die örtliche Kunstszene abbilden, denn in Waldshut seien viele Kunstschaffende ansässig, betont das Kulturamt auf Nachfrage.

2022 entschied die Stadt, die Bilder nicht länger im Depot verstauben zu lassen. Seitdem können Bürgerinnen und Bürger die Kunstwerke ausleihen.

Sichtbarkeit für regionale Künstler

„Artotheken haben einen Bildungsauftrag: Kunst niederschwellig zugänglich zu machen“, ist Ina Penßler überzeugt. Gleichzeitig leisteten sie einen wichtigen Beitrag zur Förderung der regionalen Kunstszene. Ihre Artothek in Filderstadt habe bisher fast 2.000 Kunstwerke gekauft. Für die Künstlerinnen und Künstler ist das reales Einkommen.

Andere Einrichtungen arbeiten anders. Die Artothek in Biberach beruht fast ausschließlich auf Schenkungen, sagt Corona Eggert: „Ankäufe machen wir nur selten.“

In den vergangenen 30 Jahren habe sich die Artothek in der regionalen Szene einen Platz erarbeitet. „Gerade weniger bekannte Künstler schätzen die Möglichkeit, über Artotheken ihren Namen im Umlauf zu halten – auch über ihren Tod hinaus.“

Eine Frau schaut sich Bilder in der Artothek an. Diese befindet sich in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin.
„Artotheken haben einen Bildungsauftrag: Kunst niederschwellig zugänglich zu machen“, sagt Ina Penßler vom Artothekenverband. picture-alliance / Reportdienste dpa Bildfunk Annette Riedl

Die Tuchfabrik Trier arbeitet mit Leihgaben

Wie groß das Bedürfnis nach Sichtbarkeit ist, zeigt auch die Artothek des Trierer Kulturzentrums Tuchfabrik. Dort basiert ein Teil des Bestandes auf Leihgaben regionaler Kunstschaffender. Jedes Jahr gebe es dafür deutlich mehr Bewerbungen als Plätze zur Verfügung stünden, bestätigt das Kulturzentrum.

Ziel solcher Leihmodelle ist, dass die Nutzenden sich irgendwann für den Kauf entscheiden. Viele täten sich nach einem Jahr Ausleihe schwer, sich von den Kunstwerken wieder zu trennen. Wie oft es aber tatsächlich zu Verkäufen kommt, könne man nicht beziffern.

Ein Wohnzimmer mit Kunstwerken an den Wänden
Kunstwerke fürs eigene Wohnzimmer: Artotheken sind für viele Laien ein erster Berührungspunkt mit echter Kunst. IMAGO viennaslide

Ein echtes Kunstwerk zu kaufen muss man sich erstmal leisten können. Eine Entscheidung braucht Zeit, auch auf emotionaler Ebene. Gerade Laien fehlt oft der Zugang. „Für manche sind Artotheken der erste Berührungspunkt mit Originalkunst“, sagt Ina Penßler vom Artothekenverband.

Sie bauen Schwellenängste ab und sind Einfallstor in die Kunstwelt: Wie es sich anfühlt, ein echtes Ölgemälde im Wohnzimmer zu haben und ein Werk über Monate im Alltag wirken zu lassen.

An Weihnachten verschenkt man bekanntlich am liebsten etwas, das sich die beschenkte Person selbst nie gönnen würde. Warum also nicht ein echtes Kunstwerk an den eigenen vier Wänden?

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