Interview mit Anke Pauli der Artothek Hannover

Permanente Kunst an temporären Wänden oder sind die Wände permanent und die Kunst nur zeitweise? Anke Pauli, Kunsthistorikerin und Gründerin der artothek Hannover über das Konzept des öffentlichen Kunstverleihs, vergessene Schätze in staubigen Kellern und das Fördern regionaler Künstler:innen durch inklusive Projekte.

Das Konzept der „artothek“ entstand bereits Ende der Sechzigerjahre und bedeutete damals wie heute frei zugängliche Kunst für alle. Ausleihbar an Interessierte, die sich länger mit Werken auseinandersetzen möchten als über den Zeitraum eines Galerie- oder Museumsbesuches. Als Schnittstelle zwischen Bürger:innen und regionalen Künstler:innen verhelfen artotheken weltweit zu kreativer Abwechslung an heimischen Wänden. Die definitiv bessere Alternative zu Ikea. Warum verriet Anke Pauli in einem persönlichen Gespräch.

Anke, wie kamst du das erste Mal mit leihbarer Kunst in Berührung?

Anke: Während meines Studiums in Kunstgeschichte absolvierte ich ein Praktikum in der Bonner artothek. Danach war ich als Trainee bei Deutschlandradio in Köln beschäftigt. Als ich mal mit dem Hausmeister durch die Kellerräume vom Funkhaus marschiert bin, entdeckte ich Dutzende Kunstschätze aus den Achtzigerjahren. Wie sich herausstellte, existierte wohl früher so was wie eine interne artothek und Mitarbeiter*innen konnten sich die Werke leihweise mit nach Hause oder ins Büro nehmen. Über die Jahre wurde das aber zunehmend vergessen. Ich fragte den Intendanten dann, ob ich die Werke aufbereiten und in die Flure hängen dürfe. Ich durfte.

Wenn ich mich nicht verzählt habe existieren derzeit mindestens 110 artotheken in Deutschland. Wann und wie kam es zur Gründung in deiner heutigen Wahlheimat Hannover?

Anke: Gegründet habe ich die artothek Hannover als Verein 2014. Damals mussten vor allem noch meine Freunde als Gründungsmitglieder herhalten (lacht). Bevor es allerdings dazu kam dauerte es eine ganze Weile. Zuerst rannte ich mit meinem Vorschlag ins Kulturbüro. Positive Reaktionen gab es reichlich, Kapazitäten jedoch keine. Und so ein Projekt im Alleingang zu stemmen bedeutet viel Lobbyarbeit. Präsenz zeigen, Wille zeigen etc. Ich hatte das Projekt vorerst auf Eis gelegt und später, nach der Elternzeit meines zweiten Kindes dann wieder aufgegriffen. Heute bin ich die Geschäftsführerin.

Die artothek Hannover startete damals mit einem Bilder-Portfolio von Künstler*innen, deren Werke in einer psychiatrischen Einrichtung entstanden sind. Wird auch heute noch ein inklusiver Ansatz verfolgt?

Anke: Nicht ausschließlich, aber natürlich auch. Von Juli bis August gab es bei uns z. B. eine Ausstellung von Künstler:innen mit Beeinträchtigung. Initiatorin war Anja Neideck, die im Rahmen des inklusiven Theaterfestivals Klatschmohn auf uns zukam. Viele unserer ausleihbaren Werke stammen von Kunstschaffenden mit psychischer oder kognitiver Beeinträchtigung. Und kommenden Dezember eröffnet bei uns die Ausstellung „Mein gemaltes Paradies als unbewegte Welt in Bildern“ von Pierre Heinecke. Er ist Kunstschaffender der AuE-Kreativschule. Eine soziale Einrichtung, die Menschen mit psychischen Besonderheiten Raum für kreative Entfaltung bietet.

Auf eurem Instagram-Account lautet das Statement eines artothek-Vereinsmitglieds: „Weil mir IKEA-Poster zu langweilig sind.“ Würdest du das so unterschreiben?

Anke (lacht): Auf jeden Fall. Unsere artothek hat wirklich eine große Vielfalt an wunderbaren Bildern zu bieten. Allesamt Originale, allesamt Einzelstücke. Eben nichts von der Stange. Wer bei uns Werke mit nach Hause nimmt unterstützt zudem die lokale Kunstszene.

Funktioniert das Ausleihen in allen artotheken gleich?

Anke: In der Regel ja. Man zahlt einen übersichtlichen Geldbetrag, – bei uns liegt er jährlich bei 32 Euro – und kann dann mehrmals im Jahr für je drei Monate ein Bild ausleihen. Es gibt aber z. B. auch spezielle Leihangebote für Unternehmen. Wie die genau aussehen, findet man detailliert auf unserer Website.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich noch nie einen Blick in die artothek meiner eigenen Heimatstadt Nürnberg geworfen habe. Das werde ich schleunigst nachholen. Herzlichen Dank für die Inspiration und das tolle Gespräch.

Interview und Text: Nadine Zwingel
Bilder Copyright: artothek Hannover e.V.
Titelbild: Andre Germar

Comments 2

  1. In welcher Form profitieren die Künstler*innen von der Artothek?
    Laut Vertrag sind ihre verliehenen Werke nur bedingt versichert, z.B. wenn der/die Leihende im Schadenfall keine Haftpflichtversicherung hat, kommt die Artothek dafür nicht auf.
    Künstler*innen erhalten laut Vertrag kein Leihhonorar, das heißt im Klartext: sie tragen das volle Risiko und profitieren nur im Fall des Ankaufs ihrer Werke. Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit würde ich das Ausbeutung nennen, denn Künstler*innen tragen ein ungleich hohes unternehmerisches Risiko gegenüber anderen Berufsgruppen. Für viele steht die Altersabsicherung auf Kipp. Daher schlage ich vor, ein faires Konzept mit den Künstler*innen zu entwickeln, von dem alle nachhaltig profitieren.

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    Artotheken „demokratisieren“ Kunst gewissermaßen – in dem Sie Kunst allen zur Verfügung stellt.
    Alle Artotheken sind gemäß ihrer Entstehung und Entwicklung sehr unterschiedlich aufgebaut. Daher sind Ihre Aussagen über Versicherungen oder Honorare nicht zu verallgemeinern. Gut ausgestatte Artotheken kaufen zuweilen Kunst und stellen Sie dann der Allgemeinheit zur Verfügung. Dann ist auch der Künstler*in die monetäre Wertschätzung entgegengbracht. Dieses Konzept wird aber leider nur bedingt von Kommunen und Städten mitgetragen. Der Verband setzt sich durchaus dafür ein, denn Wertschätzung und Kunstvermittlung gehören zusammen.

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